Interview

Reiner Wallbaum

Interview von Marc Stefan Andres

Herr Wallbaum, Sie haben eine Ausbildung als Werkzeugmacher absolviert und bei VW am Band gearbeitet. Wie kommt man nach so einem Start ins Berufsleben zum Produkt-Design?

Ich wusste damals nicht, dass es überhaupt so etwas wie Design gibt. Mein Ansatz war eher, einfach zu machen, etwas mit den Händen zu tun – und so arbeite ich oft auch noch heute. Während meiner Lehre habe ich mit einigen Freunden eine Werkstatt von einem Schrotthändler gemietet, damit wir an unseren Autos schrauben konnten.

Ich habe aber da schon gemerkt, dass ich den Antrieb habe, etwas Eigenes umzusetzen. So habe ich angefangen, Möbel zusammenzuschweißen und sukzessive mein Kinderzimmer mit Korkpinwand und braunem Cordsofa rauszuschmeißen – ich habe ja damals noch zuhause gewohnt, was schön bequem und günstig war.

Momentum Solarstanduhr // 1989
CNC gebogenes und lackiertes Stahlblechgehäuse (Maße 25 x 25 x 180 cm). Alternativ gab es eine Ausführung in gebürstetem Edelstahl und aus MDF mit DD-Klavierlack lackiert. Die Solarzelle lieferte mit einem Akku-System ausreichend Strom, sodass die Uhr drei Wochen ohne Licht funktioniert.

Die ersten Schritte ins Produktdesign. Woher kam dieser Antrieb, etwas schaffen zu wollen?

Ich suche immer das, was es noch nicht gibt, das ist so ein bisschen wie Fernweh. Und bevor ich lange herumfrage, mache ich es eben einfach selbst. Unsere ersten richtigen Produkte entstanden dann auch ziemlich schnell und ebenso ungeplant und spontan.
Mein Freund Michael Gajetzky (www.swedishclassics.de) hatte die Idee für eine Solarstanduhr, ich für schicke Hifi-Racks.

 

Wie genau sahen die Produkte aus?

Die Standuhr bestand aus einem CNC-gebogenen Stahlblechgehäuse, in das wir eine Solarzelle einbauen wollten, die dann das Uhrwerk mit Strom versorgt. Teilweise haben wir auch Uhren aus MDF mit Klavierlack oder aus Edelstahl als Produktdiversifikation gebaut. Das Hifi-Rack war dagegen aus vier schwarz eloxierten Aluminiumsäulen konstruiert, an denen Glasböden mit Zapfen befestigt wurden, die gedreht und vergoldet waren. Auf die Rohre aus Stahl haben wir zudem gefräste Spitzen gesetzt.

 

Das klingt ambitioniert. Wie haben Sie die Ideen damals in die Wirklichkeit umgesetzt?

Wir hatten ja nicht mal eine Firma und damals 1988 wirklich keine Ahnung, wie so etwas gehen sollte. Aber wir konnten uns gut vorstellen, wie das Ganze aussehen sollte. Zunächst mussten wir die Materialien bekommen. Es gab kein Google oder Internetseiten, auf denen wir die Einzelteile hätten bestellen können.
Das höchste der Gefühle waren so genannte „Wer liefert was“-Bücher, die wir aber auch erst später entdeckt haben. Wir haben unglaublich viel Zeit reingesteckt, um Lieferanten zu finden, die die Teile nach unseren Vorstellungen produzieren konnten. Eine Solarzelle, die damals 70 DM kostete, haben wir zum Beispiel in Frankreich bestellt – und für die Bodenträger für das Rack haben wir jeweils 50 Pfennig bezahlt und für die 24Karat Vergoldung 1 Mark, nachdem wir einen Produzenten gefunden hatten.

 

Als die Produkte dann fertig waren: Wie haben Sie diese an die Kunden gebracht?

Der Vertrieb war eine ganz andere Nummer. Wir hatten inzwischen eine Firma gegründet – Gajetzky + Wallbaum Interior Art GbR – und haben erst mal ein Logo entwickelt, Flyer gemacht und potentielle Vertriebspartner auf einer elektrischen Schreibmaschine angeschrieben. In Supermarkt im Dorf haben wir das Zeitschriftenregal durchstöbert und im Fall des Racks zum Beispiel die Händlerliste in Magazinen wie „Audio“ oder „Stereo“ abgeschrieben. Wir dachten eben, das Läden, die Grundig- oder Marantz-Hifi-Geräte verkauften, auch Interesse an unserem Produkt haben könnten.

 

Und das hat geklappt?

Ja, und die erste Bestellung, die von einem Bochumer Hifi-Studio kam, haben wir richtig gefeiert. Wir hatten nur noch nicht dran gedacht, dass wir ja auch eine vernünftige Verpackung brauchten. Also haben wir uns wieder auf die Suche gemacht, Styropor zum Beispiel so zugeschnitten, dass es die Trägerrohre vernünftig und sicher aufnehmen konnte, dann Kartons gepackt und die Racks auf die Reise geschickt. Alles autodidaktisch und im Selbstversuch.

 

Hat sich das Ganze gelohnt?

Kommt drauf an, was „lohnen“ heißt. Finanziell nicht. Wir haben insgesamt vielleicht rund 80, 90 Stück Racks verkauft, für 1600 DM netto – später standen sie dann für 2800 DM im Handel. Wahrscheinlich hätten wir eher Produkte machen sollen, die in der Herstellung günstiger waren – so kamen wir am Ende, nach drei Jahren, so in etwa plus minus null heraus. Vor der Solarstanduhr haben wir drei an den Kunden gebracht, das war noch deutlich erfolgloser. Aber: Wir haben unglaublich viel dabei gelernt.

 

Was genau?

Wie man aus einer Idee ein Produkt macht, egal, welche Schwierigkeiten bestehen. Wie man mit einer Mischung aus Inspiration, Handwerk und Idealismus zum Ziel kommt. Was man alles nicht machen sollte – zum Beispiel sich nicht um den Vertrieb zu kümmern oder keine vernünftige Kalkulation aufzustellen. Und wir hatten Erfolg auch auf der Ebene, dass zum Beispiel Zeitschriften wie „Audio“ oder „Schöner Wohnen“ unsere Produkte vorgestellt haben – das war für uns Jungs vom Dorf der absolute Hammer.

 

Sie sagten eben, dass das Ganze nach drei Jahren zu Ende war. Warum haben Sie nicht weitergemacht?

Ich musste andere Prioritäten setzen, weil ich mit 25 Jahren eine Krebsdiagnose bekommen habe. Zum Glück hatte mich der Dorfarzt schnell genug zum Experten geschickt, so dass ich trotz Metastasen mit Hilfe einer Operation und von Chemotherapie wieder gesund werden konnte. Wie haben uns damals entschieden, die Firma aufzulösen, weil wir davon auch nicht leben konnten. Und ich wusste ja nicht, wie es mir gehen würde, wenn ich die Krankheit überhaupt überlebe.

 

Ein großer Einschnitt. Wie haben Sie nach der Krankheitsphase weitermachen?

Ich habe in dieser Zeit Henner Jahns – der in Montreux am Art Center Design studierte – kennengelernt, mit dem ich immer noch gut befreundet bin. Er hat mich darauf gebracht, Industriedesign zu studieren. Ich habe mir Zeichnen beigebracht, um eine Mappe vorzubereiten und mit Hilfe von Henner gelernt, wie Produktdesigner ihre Skizzen machen, mit Kreiden, Pudern, Markern. In Essen bin ich angenommen worden und dann fürs Studium, das ich im Herbst 1992 begonnen habe, nach Bochum gezogen.

 

Was haben Sie dabei gelernt?

Erst einmal habe ich nebenbei viel gelernt. Ich habe in einer Werbeagentur gearbeitet, um Geld zu verdienen, und konnte mich da zum Beispiel mit Programmen wie Photoshop und Illustrator beschäftigen. Außerdem habe ich mich ins Grafik-Design hineingedacht und es – wie so oft – erst einmal gemacht, bevor ich genau wusste, wie es eigentlich funktioniert.
Ich merkte aber damals, dass ich mich gut in Problemstellungen vertiefen und antizipieren konnte, was Flyer, Logos, Briefpapiere, Visitenkarten oder Prospekte benötigten. Parallel habe ich auch ein Musikstudio für einen Kunden eingerichtet, die Zeichnungen dafür gemacht, die Kostenrechnung aufgestellt und die Baustelle betreut. Das war superspannend.

 

Gab es denn nie den Punkt, an dem Sie gesagt haben, „das kann ich nicht“?

Doch, natürlich, aber ich habe dann eben immer weitergemacht und nicht aufgegeben. Ich bin mir sicher, dass es zwar ein Talent für Kreativität gibt. Das Künstlerische ist aber nicht alles. Es geht auch um Analysen und um das Denken, um etwas zu schaffen und dabei eine Art eigenen Stil zu entwickeln. Außerdem ist es einfach harte Arbeit, kreativ zu sein.

 

Sie haben noch nicht vom Studium geredet, was hat Ihnen das gebracht?

Ich habe an vielen Stellen etwas für mein Grundlagenwissen getan, aber so richtig glücklich hat es mich nicht gemacht. Das Studium habe ich aber auch gar nicht beendet.

 

Warum, haben Ihnen die Studienprojekte nicht ausgereicht?

Ja, genau. Und ich bekam ein interessantes Angebot über meinen älteren Bruder Knuth, der als Ingenieur bei dem Aufzug- und Rolltreppenhersteller Otis arbeitete. Er vermittelte mir ein Design-Projekt, in dem ich gemeinsam mit einem Kommilitonen von der Uni den Bereich einer Fahrtreppe gestalten sollte, an dem das Fahrband im Boden verschwindet. Das klingt total langweilig, war aber sehr spannend, weil es ein schon länger bestehendes Problem anging.

 

Warum war das interessant – die Beschreibung hört sich tatsächlich etwas öde an?

Wir stellten uns die Frage, wie man diesen Teil der Fahrtreppe so sicher macht, dass den Nutzern nichts passiert, und das Ganze gleichzeitig zu einem guten Preis produzieren kann. Wir haben eine gute Lösung gefunden, für die wir auch bezahlt wurden – und einige Zeit später hatten wir das nächste Projekt. Und ich war nach sechs Semestern wieder selbstständig.

 

Otis allein als Kunde reichte aber nicht aus, oder?

Nein. Wir haben zehn Jahre für das Unternehmen gearbeitet, das uns als Start-up eine riesige Chance bot, indem wir eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Projekten übernehmen konnten: Wir haben zum Beispiel Standardisierungen von Bauteilen für die Verkleidung der Fahrtreppen entwickelt, Nacharbeitungszeiten in der Produktion gesenkt, technische Innovationen für die Unterhandleisten-Beleuchtung angeregt sowie Untersuchungen für die Fertigung zur Hydroforming für die Edelstahlbauteile gemacht – aber wir haben auch andere Kunden gesucht.

Ich habe anschließend in wechselnden Kombinationen mit Freunden Büros gehabt, in der Schweiz zum Beispiel oder wieder in Bochum, wo wir uns im Team als UnitedDesignWorkers aufgestellt hatten.

 

Welche Projekte haben Ihnen besonders viel Spaß gemacht?

Da gab es viele, vor allem die, bei denen wir viele Tätigkeiten verbinden und oft ganz neu denken, entwerfen und dann aber auch umsetzen konnten. Wir haben etwa den Stuhl „Parlando“ für die Firma Drabert entwickelt und zur Serienreife gebracht – ein Entwurf von meinem damaligen Partner Andreas Kalweit aus dessen Studienzeit –, der immer noch verkauft wird. Für den Stiftehersteller Stabilo haben wir als Innovationsagentur Produkte entwickelt, für Emsa ein Teeservice gestaltet und bis zur Marktreife betreut. Und nebenbei haben wir auch noch ein Fachbuch geschrieben, dass zum Standardwerk für Material- und Fertigungsverfahren geworden ist.

 

Wie kam es dazu?

Die Idee hatte ich schon während des Studiums. Ich hatte einen Kleiderschrank designt, bei dem sich die Türen wie Bustüren öffnen lassen sollten. Das Holz dafür hatte ich mit Laminat beschichtet – aber nur einseitig, und deswegen waren sie am nächsten Tag krumm. Ich hatte ja keine Ahnung von dem Werkstoff. Mir fehlte etwas zum Nachschlagen, wie eben ein Buch zu Werkstoffen und Fertigungsverfahren. Zu viert haben wir dann Jahre später ein Dossier entwickelt, es dem Springer-Wissenschafts-Verlag vorgestellt und nach anderthalb Jahren und vielen Tausend Stunden Arbeit veröffentlicht.

 

Ist das, was Sie heute mit ElbeEichhorn machen, so etwas wie eine Summe all dieser Erfahrungen?

Bestimmt. Nachdem wir uns im Guten als UnitedDesignWorkers aufgelöst hatten, habe ich mit der neuen Agentur im Jahr 2014 angefangen, um mich noch einmal neu zu erfinden – ich habe ja immer wieder das Bedürfnis, das Abenteuer zu suchen. Das habe ich auch gefunden.

 

Warum brauchte es dafür eine neue Firma mit einem neuen Namen?

Ich wollte gerne wie ein Start-up starten, als leere Hülle, die ich gemeinsam mit meinem Team füllen kann – zum Beispiel mit meinem Mitarbeiter Johannes Hohenhaus, der von Anfang dabei ist. Das Netzwerk aus alten Partnern blieb ja sowieso bestehen. Dabei wollten wir davon wegkommen, nur in Produkten zu denken, sondern den gesamten Prozess zu sehen: Also von der ersten Idee über den Prototypenbau bis zur Suche nach Lieferanten und dem Schritt in die Serienproduktion.

Um diesen Ansatz noch ganzheitlicher zu machen, wollte ich auch andere Bereiche inkludieren, mit denen ich mich viel beschäftigt habe: Wenn der Kunde es will, möchte ich gerne die Marke mitentwickeln, Texte, eine Bildsprache, ein Corporate Design entwerfen. Dazu habe ich nun auch die Chance, eigene Produkte in Kleinserie zu gestalten und herstellen zu lassen.

 

Das sind viele Tätigkeiten: Was hält das Ganze für Sie zusammen?

Bei allem läuft es auf „die Schöne und das Biest“ hinaus, wie ich es gerne nenne. Ein ästhetischer, emotionaler Entwurf muss immer auch für den Kunden und die Nutzer perfekt funktionieren, von der effizienten und kostengünstigen Produktion bis zur perfekten Nutzbarkeit im Alltag. Dafür beschäftigen wir uns neben der kreativen Arbeit auch intensiv mit den Marken und den Märkten, achten zum Beispiel darauf, dass Produkte möglichst einfach hergestellt und montiert werden können und dennoch eine hohe Wertanmutung haben.

 

Dafür, dass Sie früher – siehe die erste Frage – nicht wussten, was Design ist, haben Sie heute aber eine sehr konkrete Idee davon.

Das stimmt wahrscheinlich. Ich sehe unsere Rolle einfach darin, dass wir interdisziplinär arbeiten, um ein altes Dilemma aufheben zu können: Leider war und ist es oft so, dass Designer manchmal Entwürfe zeichnen, die die Ingenieure nicht umsetzen konnten. Oder die Ingenieure haben etwas entwickelt, von dem die Designer nicht wussten, wie sie es gestalten konnten. Wir gehen anders an Projekte heran, indem wir die beiden Prozesse parallel und vernetzt führen – und dadurch, wie wir finden, immer das beste Ergebnis für den Kunden erzielen.

 

Auditiv Hifi-Rack // 1989
Aus eloxierten Aluminiumrohren und lackierten Designelementen. Böden aus rauchigem Floatglass mit 24 Karat vergoldeten Bodenträgern. In einer Lochreihe höhenverstellbar.
In den vorderen Aluminiumrohren ist eine Beleuchtung integriert.

 

 

Kurzbio

Reiner Wallbaum wurde im August 1965 im Landkreis Schaumburg in Niedersachsen geboren, einige Jahre früher erblickte übrigens Wilhelm Busch ein paar Dörfer weiter das Licht der Welt.

Wallbaum stammt aus einem Beamtenhaushalt, als mittlerer von drei Brüdern. Er absolvierte die Realschule, machte eine Ausbildung als Werkzeugmacher bei VW in Hannover, arbeitete dort mit Unterbrechung durch die Bundeswehrzeit in der Produktion (Rohbau, Endmontage, Giesserei).

Er holte sein Fachabitur nach, studierte Produktdesign, allerdings ohne Abschluss, und gründete mehrere Produktdesign-Büros. Seit dem Jahr 2014 ist er Chef von ElbeEichhorn. Wallbaum arbeitet und lebt in Düsseldorf.

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